Foto Norbert Küpper

DIE AKTE SCHERL
Über das absurde kollektive Verleugnen der NS-Vergangenheit
eines lokalen Heimatkünstlers und eine daraus resultierenden Unterlassungsklage

1. Der Wittlicher Kulturskandal

Die zwischen Eifel und Mosel gelegene Stadt Wittlich hatte durch einen Schenkung von Werken
des international hoch angesehenen Malers und Glasmalers Georg Meistermann im Jahr 1994
eine einzigartige Möglichkeit im kulturellen Bereich zu glänzen.
Im Jahr 2000 eröffnete man im historischen Rathaus das Georg-Meistermann-Museum.
Das Museum beherbergte nicht nur Werke des Künstlers, sondern war auch dem geistigen und politischen Denken des von den Nationalsozialisten verfemten Künstlers verpflichtet. Zudem zeigte man in Sonderausstellungen auf hohem Niveau einen Überblick über aktuelle Kunstpositionen.

Wittlich hat allerdings auch eine kulturelle Schattenseite. Diese ist mit dem Schaffen des Wittlicher Künstlers Hanns Scherl verbunden. Dessen Kunst entsprach der nationalsozialistischen Kunstideologie und er war als Person mit dem Nationalsozialismus verstrickt. Gerade diesen Künstler wollte man 2010 im Georg-Meistermann-Museum jubilieren. Der auf dieser Intention basierende kulturpolitische "Skandalon" (Frank Olbert im Kölner Stadtanzeiger vom 23.6.2010) führte zum Ende des Georg-Meistermann-Museums. Diese Vorkommnisse wurden 2011 in dem Solinger Museumsausstellungskatalog zum hundertsten Geburtstag von Georg Meistermann ausführlich aufgearbeitet.

PDF1: Norbert Küpper, "Das Kolorit als Propaganda der unendlichen Schöpfungskraft Gottes - Georg Meistermann zum hundersten Geburtstag" in: "das münster" Schwerpunkt: Zeitgenössische Malerei, 2/2011

PDF2: Ursula Knorr, Norbert Küpper, Thomas Schnitzler: "Eine unnötige Diskussion der Vergangenheit ... ausgelöst von einer kleinen Clique - Das Ende des Georg-Meistermann-Museums wegen der Verleugnung der nationalsozialistischen Verstrickungen des Künstlers und der Kunst von Hanns Scherl seitens der Stadt Wittlich", in: "Das Leben des Menschen ist eingehüllt in Farbe - Georg Meistermann zum hundertsten Geburtstag", hg.: J.M. Calleen, R. Jessewitsch, Berlin 2011

In den folgenden Jahren gab es immer wieder Versuche seitens der Stadtverwaltung oder einzelner Personen die Aufklärung über den Wittlicher "Kultur-Gau" (Calleen-Vortrag an der Universität Trier im Frühjahr 2011) in zensorischer Art zu verhindern. Man war sich offensichtlich der Brisanz dieser Hofierung von Scherls Werken bewusst. Gleichzeitig lässt man der Schenkung mit den Meistermann-Werken eine steifmütterliche Pflege zukommen.

2. Kunsthistorische Einordnung von Hanns Scherl und historische Quellen

Das Schaffen Scherls ist durchweg an der nationalsozialistischen Kunstideologie orientiert. Selbst an den nach 1945 geschaffenen Werken kann man keine Distanzierung von dieser propagandistischen Kunstauffassung erkennen. So ist eine Bronze-Skulptur "Tanzende" mit den Jahren 1935/1968 datiert. Dass der Bildhauer ein Werk, welches in der NS-Tradition der Frauendarstellung geschaffen wurde, dreißig Jahre später noch für aktuell einstuft, ist nur ein prägnantes Beispiel für seine Verwurzelung in der nationalsozialistischen Kunstideologie. An anderen Beispielen von Scherls Kunstwerke habe ich die Verbindung zur "Schönen-Heilen-Welt-Kunstideologie" des Nationalsozialismus dargestellt:

PDF3: Norbert Küpper: "Das volkstümelnde Gesamtwerk von Hanns Scherl im Stile und im Geiste der nationalsozialistischen Heile-Welt-Kunstideologie", 2010

Darüber hinaus war Hanns Scherl als Person mit dem Nationalsozialismus verstrickt. Er war seit 1938 Parteimitglied der NSDAP und wurde in mehreren Veröffentlichungen der 1930er Jahre auch als Oberscharführer der Hitlerjugend erwähnt. Diesen ehrenamtlichen Titel des Oberscharführers vergab die Hitlerjugend insbesondere an aufstrebende, junge Personen, die sich durch ihr kulturelles Schaffen im nationalsozialistischen Sinne verdient gemacht hatten und sich damit als zukünftige NS-Künstlergeneration empfohlen hatten.

PDF4: "Wittlicher Tageblatt", 20.4.1936
PDF5: "Nationalblatt", 10.11.1938
PDF6: "Wittlicher Tageblatt", 12.11.1938
PDF7: "Die Eifel", April 1939

Scherl wird in dem Artikel von Peter Kremer, der dreimal die strenge Zensur der nationalsozialistischen Schriftleiter durchlaufen musste, nicht nur als der Höhepunkt einer Kunstreise mit dem HJ-Bannführer glorifiziert, sondern auch durch die Anzahl der Abbildungen hervorgehoben. Von insgesamt acht Abbildungen sind fünf allein von Hanns Scherl. Das zweifach veröffentlichte Relief "Jugend im Arbeitsdienst", das den Dienst der Hitlerjugend abbildet, wurde 1941 mit dem ersten Preis im Gau Moselland prämiert.

Anlässlich der Wittlicher Scherl-Ausstellung entstand ein Postkarten-Set in Zusammenarbeit mit Ursula Knorr und Bert Sommer, dass die Problematik der Scherl´schen Werke verbildlicht. Durch die Unterlassungsklage seitens des Sohns Michael Scherl und einer dementsprechenden richterlichen Verfügung, war der Vertrieb dieser Postkarten zeitweise untersagt. Das Wittlicher Bestreben nach Zensur hatte für ein halbes Jahr einen Erfolg zu vermerken.

PDF8: Postkarten-Set

3. Die Unterlassungsklage - 25 Jahre nachdem die NS-Verstrickungen Hanns Scherls thematisiert wurden.

Die nationalsozialistische Verstrickung von Hanns Scherl wurde in Wittlich schon 1989 thematisiert. Damals sollte ihm auf Bestreben von konservativen Kreisen die Ehrenbürgerwürde verleihen werden. Die Opposition des Stadtrates lehnte dies wegen seiner NS-Vergangenheit erfolgreich ab.

Seit 2010 verwies ich in meinen kritischen Stellungnahmen zur Wittlicher Kulturpolitik wie in Leserbriefen oder wissenschaftlichen Publikationen immer wieder auf Scherls NS-Vergangenheit. Unter anderem in einem Leserbrief im Trierischen Volksfreund vom 31.05.2014. Dieser Leserbrief bezog sich auf die Forderung der Scherl-Tochter, einen Brunnen ihres Vaters auf dem Schulgelände eines Wittlicher Gymnasiums entweder zu restaurieren oder aus den Resten ein "Scherl"-Ehrenmal zu schaffen:

PDF9: "Zukunft ohne Brunnen", Trierischen Volksfreund, 17./18. Mai 2014
PDF10: Leserbrief "Eine Erinnerung an ein würdiges Erinnern", Trierischen Volksfreund,31. Mai/1. Juni 2014

Auf diesen Leserbrief erhielt ich zunächst eine anonyme Drohpostkarte. Zur selben Zeit erhielt auch der Wittlicher Stadtrat Ali Damar eine ähnliche Drohpostkarte mit dem selben Absender "Wittlicher Bürger". Während der Inhalt der zweiten Postkarte im "Trierischen Volksfreund" öffentlich debattiert wurde, erwähnte man die an mich gerichtete Postkarte nur am Rande, obwohl sich hier mehr Rückschlüsse auf die geistige Haltung des anonymen Verfassers zu finden waren. Dass sich Wittlichs Bürgermeister Joachim Rodenkirch nicht schützend vor die Empfänger positionierte, sondern dem Wittlicher Stadtrat auch noch unberechtigte Vorwürfe machte, war für die Redaktion des "Trierischen Volksfreunds" kein Thema.

PDF11: Drohpostkarte 2.6.2014
PDF12: "Wittlicher Stadtrat erhält Drohpost", Trierischer Volksfreund, 19./20. Juli 2014

Am 13.6.2014 wurde mir durch eine Rechtsanwältin aus Mettmann eine Abmahnung wegen der Erwähnung des Titels "Oberscharführer der Hitlerjugend" in Bezug auf Hanns Scherl zugesendet. Dies betraf den Leserbrief vom 31. Mai 2014 und die Präsentation des Postkarten-Set auf dieser Homepage. Der Sohn Michael Scherl sah die postmortale Ehre seines Vaters verletzt. Was Michael Scherl, 25 Jahren nachdem die NS-Verstrickungen seines Vaters offiziell der Öffentlichkeit bekannt wurden, zu diesem Schritt veranlasste, bleibt unverständlich. Er konnte auch keine neuen Argumente vortragen. Er berief sich nur auf pseudowissenschaftliche Argumentationen des Wittlicher Verleugnungskreises, der 2010 maßgeblich an der skandalösen Ausstellung beteiligt war. (Vielleicht sollte man in Anlehnung an das von Hanns Scherl illustrierte "Braune Buch" des "Opferrings", das Hitler 1936 als Geburtstagsgeschenk übergeben wurde, von einem Wittlicher Verleugnungs-RING sprechen.)

Die juristische Auseinandersetzung führte am 14.1.2015 zu einer Gerichtsverhandlung am Landgericht Köln. Die Verhandlung endete mit einem Vergleich, der mich sinngemäß zu folgender Formulierung verpflichtet: "Hanns Scherl war NSDAP-Mitglied und laut mehrerer Veröffentlichungen aus den 30er Jahren HJ-Oberscharführer." Die Kosten des Rechtsstreites hat der Kläger zu tragen. Da der Kläger den Streitwert von ursprünglich 10.000 EUR auf 30.000 EUR anheben ließ, sind diese nun besonders hoch. Diesen Antrag auf Erhöhung des Streitwertes begründete er mit dem großen öffentlichen Interesse, das er durch einen Artikel im Trierischen Volksfreund vom 6. August 2014 (siehe unten) belegt sah.

Der Bonner Rechtsanwalt Dr. Helmut Neumann kommentierte die Verhandlung vor dem Kölner Landgericht vom 14. Januar 2015 wie folgt:
"Nach intensiver Rechtsdiskussion, in der das Gericht deutlich machte, dass es der Klage wenig Aussicht auf Erfolg beimisst, haben wir zum Ausgleich der Klage folgenden Vergleich geschlossen:
     1. Der Beklagte erklärt, sich in Zukunft über die streitige HJ-Funktion Scherls sinngemäß nur wie folgt
      zu äußern: Scherl war NSDAP-Mitglied und laut mehreren in den 30er-Jahren erfolgten Veröffentlichungen
     HJ-Oberscharführer.
     2. Die Kosten des Rechtsstreites hat der Kläger übernommen, die Kosten des Vergleichs sind
     - wie in § 98 ZPO vorgesehen - gegeneinander aufgehoben worden, das heißt diese Kosten
      trägt jede Partei selbst.

Die Gegenseite war mit diesem Vergleich erkennbar unzufrieden, nachdem sie vorher erklärt hatte, die vorgesehene Erklärung enthalte ja gerade das, was verboten werden sollte."

PDF13: Pressemitteilung der Freien KunstGalerie Wittlich

Über die juristische Auseinandersetzung wurde im Vorfeld von dem renommierten Kunstkritiker Jürgen Raap in der deutschlandweit erscheinenden Zeitschrift für Künstlerinnen und Künstler "atelier" Nr. 195,Okt./Nov.2014 unter dem Titel "Kulturstreit um Kraniche" berichtet. Jürgen Raap stellt die Unterlassungsklage deutlich in ihrem Kontext mit der Wittlicher Kulturpolitik dar.

PDF14: Kulturstreit um Kraniche, Atelier, Nr.195, Okt./Nov.2014

Eine sehr fragwürdige Veröffentlichungspolitik verfolgte der "Trierische Volksfreund". Am 6.8.2014 schrieb Hans-Peter Linz auf Veranlassung der Familie Scherl einen halbseitigen Artikel "Gericht verbietet Nazi-Vergleich". In diesem Artikel nimmt der Autor trotz aller ihm vorliegenden historischen Quellen eindeutig Partei für die Familie Scherl. Obwohl er selber Historiker ist, verleugnet er sogar jegliche Glorifizierung des Nationalsozialismus in Scherls Werken. Überhaupt hat der "Trierische Volksfreund" in den 25 Jahren bis heute noch kein Werk von Scherl abgedruckt, das die nationalsozialistische Ausprägung seiner künstlerischen Haltung klar zum Ausdruck bringt. Man beschränkt sich lieber auf "Scherl-Schweinchen" und die vermeintlich unverdächtige "Schöne-Heile-Welt"-Kunst. Leserbriefe, die sich kritisch zu der Berichterstattung äußerten, wurden nicht veröffentlicht. Die Redaktion teilte den Leserbrief-Autoren mit, dass man sich nun darauf verständigt hätte, keine Zusendungen zum "Thema Scherl und seine Nazi-Vergangenheit" zu veröffentlichen, da man in der Vergangenheit ausführlich darüber berichtet hätte. Dieser Sinneswandel in nur sechs Tagen ist doch sehr verwunderlich.

Wenn man bedenkt, welches öffentliche Interesse der Trierische Volksfreund im August 2014 dem Thema beigemessen hat, ist es erstaunlich, dass er über die Gerichtsverhandlung erst 14 Tage später mit einer kurzen Notiz berichtete, die den Vergleich nur in Teilen widergibt. Eine Woche später veröffentlicht man wieder auf Betreiben von Michael Scherl eine unverständliche Korrektur, die allerdings das im Vergleich verwendete Wort "sinngemäß" durch "nur" ersetzt. Damit erweckte die Redaktion den Eindruck, dass Michael Scherl mit seinem juristischen Vorgehen doch einen Erfolg gehabt hätte. Meiner Aufforderung zu einer vollständigen, wörtlichen und damit richtigstellenden Veröffentlichung des Vergleichs wurde eine Absage erteilt.

PDF15: "Gericht verbietet Nazi-Vergleich", Trierischer Volksfreund, 6.8.2014
PDF16: "Rechtsstreit um Bildhauer Hanns Scherl endet mit Vergleich", Trierischer Volksfreund, 28.1.2015
PDF17: "Korrektur - Falsche Formulierung", Trierischer Volksfreund, 4.2.2015
PDF18: Hanns Scherls "Kleiner Michael" erscheint auf einer Seite,
             die offensichtlich pädosexuelle Interessen anspricht, Köln, 30.September 2015


Weitere Informationen zu dem Wittlicher Kulturskandal finden Sie auf folgenden Seiten:

Freie KunstGalerie Wittlich
Der Schwebende Punkt
Georg-Meistermann-Gesellschaft
www.else-lasker-schueler-gesellschaft.de

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